Ja, Mutti, ich bin immer noch hetero …
Ja, Mutti, ich bin immer noch hetero …

Ja, Mutti, ich bin immer noch hetero …

Ja, Mutti, ich bin immer noch hetero – nein, Mutti, ich schlaf’ trotzdem manchmal mit ner’ Freundin.

-Jo, 27, ⅔ weiblich, ¾ hetero

Wenn ich mich an meine Teenagerzeit zurückerinnere, gab es einige Freundinnen, mit denen ich rumgemacht habe. Manchmal einfach aus Albernheit, oft um Jungs zum Gucken zu bringen (richtig toxisch, wenn man mal drüber nachdenkt) und noch öfter, weil es eine einfache Art war etwas Sexuelles zu erfahren.

Denn wenn ich was mit einem Jungen gemacht hätte, dann wären da so viele Gefühle gewesen. So viel Romantik und Druck eine tiefgründige Beziehung aufzubauen. So viel Trara darum die Beziehung ja nicht zu schnell sexuell werden zu lassen, denn “sonst würde er ja den Respekt vor mir verlieren”. Das hat zum Einen etwas damit zu tun, dass die Gesellschaft kein “Rumhuren” akzeptiert(e), aber zum Anderen auch ganz einfach viel mit meinen persönlichen Bedürfnissen.

Ich bin nun mal hetero und ich kann meine Gefühle nicht abstellen, wenn es um das Männliche in Menschen geht. Da brauche ich mehr emotionale Sicherheit und will mich auch selbst mehr kümmern als mal eben mit ner’ Freundin rum zu knutschen.

Die Jahre vergingen und ich lernte meine damalige beste Freundin kennen. Wir unternahmen fast täglich etwas, klebten aneinander wie Pech und Schwefel. Ich hatte auch viele intime Momente mit ihr. Wenn wir allein waren schüchtern und unerfahren, auf Partys oft ausgelassener. Meine Eltern waren davon überzeugt, dass ich eine Lesbe kurz vor dem Coming-Out war.

Dann mit 15, habe ich mir, zusätzlich zu meiner allgemeinen Tomboy-Ästhetik, auch noch die Haare zu einem Pixie geschnitten. Den Look trage ich auch jetzt noch und meine Sexualität wurde seither grundsätzlich infrage gestellt. Denn “ein Mädchen wie ich, is doch eigentlich immer ne Lesbe”. Wie ich dieses Vorurteil hasse. “Ein Mädchen wie ich, was soll das sein? Nennt mich doch gleich Mannsweib, du peep” Ich habe meine männlichen Charakterzüge noch nie versteckt. Wozu? Das bin nun mal ich. Und ganz davon abgesehen. Was hat mein Charakter mit meiner Sexualität zu tun?

Aber hey, Eltern, keine Sorge! Ihr müsst erst ein paar Jahre später euren Horizont erweitern. Denn erstmal fand ich meine erste Liebe und er war einfach ein Traum. Wir führten eine wunderschöne Beziehung in der ich trotz Monogamie doch manchmal mit meinen Freundinnen rummachte. Das war möglich, weil auch er verstand, dass diese Dinge unsere Beziehung in keiner Weise gefährden. Wir redeten sogar über die Möglichkeit eines Dreiers oder Vierers, die leider nie was geworden sind. Schon damals merkte ich auch Ansätze meiner polyamoren Tendenz, aber die Gesellschaft war da noch nicht so weit, dass ich überhaupt gewusst hätte, dass es das gibt.

Die Beziehung endete, weitere monogame Beziehungen mit Männern kamen, ich experimentierte offener, ich verliebte mich kurzzeitig sogar in eine Frau. “Doch ein bisschen bi?”, fragten sich die anderen. Doch ich war mir immer meiner Identität sicher. Nur weil ich auch was mit Frauen habe und mich einmal auch in jemanden verliebe, ändert es nichts an meinem generellen sexuellen Interesse. Das kann ich nich’ verallgemeinern.

Später kam auch Kink dazu und meine Partnerwahl ist inzwischen fast nur noch auf eine Sache beschränkt: Die zwei Fragen “Ist es ein toller Mensch und wollen wir dasselbe in dieser Partnerschaft?”
So kamen mir die Leute mit dem Begriff “pansexuell”. Und ich so: “Ja ne, also nich’ immer, also manchmal schon, aber meistens nich’.” Und dann die Leute so: “Ja wie jetzt, entscheid dich ma!” und ich so: “Ja ne, ik hab halt Bock uff ne’ Jurke aber Boobies sind och cool, aber Fotze lecken is halt nich’ so meins.”

Identität ist kompliziert zu erklären, aber nicht sehr kompliziert zu spüren. Bringen wir für einen Moment all die Stimmen der Menschen um uns herum, die auf uns einreden wie wir in ihren Augen sind, zum Schweigen; spüren wir in uns hinein und versuchen für uns ganz allein zu verstehen, wer wir sind; dann merken wir, dass kein Mensch uns vorschreiben kann, warum und wen wir zu lieben und zu lutschen haben.

Ich hab kein Bock auf Labels, aber wenn mich einer fragt, was meine Sexualität ist, dann sage ich “hetero”, denn alles andere würde eventuell Menschen Hoffnung auf eine Beziehung geben, die ich nicht bieten kann. Und die Leute, die es doch mal durch dieses fürchterlich starre Raster schaffen, denen ist sowieso Schnuppe welcher Sticker mir auf der Stirn klebt.


Foto: Sayla Brown (unsplash)

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