Ein Moment aus dem Swinger-Leben
Ein Moment aus dem Swinger-Leben

Ein Moment aus dem Swinger-Leben

Ein Moment aus dem Swinger-Leben

An einem Abend vor vielen Jahren besuchten Marc und ich ein Swinger-Pärchen, mit dem wir gut befreundet sind. Im Flur zogen wir unsere Mäntel aus. Ihr Haus wirkt beinah kahl, aber auf äußerst stilvolle Weise: große Flächen ohne viel Dekoration, gerade Linien in Weiß und Grau, nur ab und an durchbrochen von warmem Holz.

Nach einer herzlichen Begrüßung standen wir zu viert im großen Wohnzimmer vor der offenen Küche. Auf der Küchenzeile waren zahlreiche Kleinigkeiten angerichtet: Datteln im Speck, Käse-Trauben-Spieße, Tomaten mit Mozzarella.

Aber nicht nur das Essen präsentierte sich verführerisch. Wir waren schick und aufreizend angezogen: Weiße Hemden, schwarze Spitze, Strümpfe. Obwohl wir uns schon eine Weile kannten, waren uns die Körper der anderen immer noch so fremd, dass es spannend war, sie zu erforschen. Es geht dabei nicht um die Körper ansich, es ist vielmehr all das Menschliche, das sie ausdrücken. Die Reaktionen, die Eigenheiten, Mut, Lust, Freude. Der Zauber entsteht aus den Dingen, die einen Menschen einzigartig machen. Wie sich seine Gesichtszüge verändern, wenn er Sex hat. Ihre Art, beim Lächeln den Kopf schräg zu legen. Ihre unverfrorene Freude, wenn sie sich allen Anwesenden nackt zeigen kann, und seine unterhaltsame Art zu sprechen.

Marc und ich hatten uns im Verlauf des Tages ganz besonders gut verstanden und uns auf Michael und Sandra gefreut, während wir uns zurecht machten. Ich kenne ihn seit über zehn Jahren. Wenn er sich unsicher fühlt, sehe ich das in einer Veränderung seiner Gestik, die ich nicht einmal in Worte fassen kann. Sein Geruch fühlt sich an wie ein Zuhause. Wenn wir in einer Unterhaltung nicht offen zugeben können, dass wir manchmal Sex mit anderen Paaren haben, fangen wir an, in Allgemeinplätzen zu sprechen, um auszuweichen. Aber wenn keiner genau hinsieht, grinsen wir uns verstohlen an, in heimlicher Komplizenschaft.

Als Aperitif servierte Michael einen Spritz mit tiefgefrorenen Erdbeeren, die Sandra selbst gepflückt hatte. Währenddessen unterhielten wir uns angeregt. Ich musterte aufmerksam die Gesichter und meinte zu erkennen, dass wir uns alle rundum wohl fühlten. Erleichterung breitete sich in mir aus. Beruhigt wandte ich meine Aufmerksamkeit ganz der Sinnlichkeit zu, die in der Luft lag.

Wir öffneten einen Wein – einen ganz exzellenten, die beiden sind schließlich Weinliebhaber. Und dann küsste Marc unsere Freundin und unser Freund küsste mich.

Wie aufregend doch der ungewohnte Geschmack ist, wie stürmisch seine Zunge. Ich öffnete die beiden oberen Knöpfe seines Hemdes, um mit den Fingerspitzen die Linien entlang zu fahren, die sein Schlüsselbein formen. Wir lächelten und es fiel uns auf, dass wir die anderen für ein paar Sekunden vergessen hatten. Mein Blick traf den von Sandra. Ich ging auf sie zu und küsste ihre zarten Lippen. Da spürte ich Marcs Hand an meiner Hüfte. Meine Augen schlossen sich. Weitere Hände gesellten sich dazu und streichelten meinen Körper. Das leichte Kratzen eines Bartes in meinem Nacken, ein sanfter Biss in den Hals, die weiche Haut ihrer Brust in meiner Hand. Ich wandte den Kopf zur Seite, um auch Marc zu küssen und genoss den vertrauten Geschmack.

Dann wieder Plauderei, Essen, Lachen.

Irgendwann musste Michael nach oben, um nach seinem schlafenden Sohn zu schauen. Ich nutzte die Gelegenheit, um mit meinem Glas Wein in der Hand zum Buffet zu gehen, wo ich meinen Teller erneut mit Essen füllte.

Als ich mich umdrehte, sah ich, wie Marc und Sandra sich innig küssten und sich lustvoll berührten. Ich wollte sie nicht stören, also blieb ich stehen und lehnte mich an die schlichte weiße Säule neben der Küche. Es war schön, ihnen zuzuschauen. Sie zogen einander langsam aus und sahen dabei so wunderbar ästhetisch aus. In meiner Brust machte sich ein Gefühl der Harmonie breit und wuchs sich zu einem Glücksgefühl aus, das ich bis in meine Fingerspitzen fühlen konnte. Ich war ganz im Moment, genoss all die intensiven Sinneseindrücke, sog die Ästhetik in mich auf. Ich fühlte mich eins mit der Welt, durch und durch zufrieden, und spürte: Genau so soll es ein.

„Schon dekadent, was wir hier machen“, dachte ich, während mein Blick von den verschlungenen Körpern auf das filigrane Weinglas in meiner Hand wanderte. Meine Augen musterten die Köstlichkeiten, die auf der langen Küchenzeile angerichtet waren. „Um ehrlich zu sein, es ist so dekadent, dass es schon obszön ist. Dekadenz ist ja nicht grade was, worauf man stolz sein kann. Aber auf diese Art gefällt sie mir einfach zu gut. Ein Fest der Genüsse!“

Ich lächelte und atmete tief ein. Der Geruch von Parfum stieg mir in die Nase und durch meine schwarzen Strümpfe spürte ich die Wärme des Bodens. Ich fühlte mich tief verbunden mit den anderen und war doch ganz bei mir selbst.

„Ich schau‘ grade zu, wie mein Mann eine andere Frau in wundervoller Reizwäsche vögelt, trinke dabei den besten Wein und esse lauter Köstlichkeiten. Was für ein Leben!“

Und ich wusste, gleich würde Michael wieder kommen. Dann würde ich seine Schritte auf der Betontreppe in meinem Rücken hören und mich umdrehen, um ihn zu küssen.


Foto: Dainis Graveris (unsplash)