Zwei Stunden mit Timor
Zwei Stunden mit Timor

Zwei Stunden mit Timor

Warum ein Mensch im Laufe seines Lebens eine Angststörung entwickelt, hängt von mehreren Faktoren ab. Zum einen spielt die Genetik, biologische und chemische Faktoren und die Erziehung eine entscheidende Rolle, aber auch länger anhaltende und stressreiche Belastungen und bereits vorliegende psychische Krankheiten wie Depression oder körperliche Erkrankungenen wie Schilddrüsenstörung, begünstigen die Entwicklung einer Angststörung. Eine Angststörung ist keine Einbildung, die man durch gut Zureden beseitigt. Bei einer Angststörung sind unter anderem die Botenstoffe im Gehirn im Ungleichgewicht. 

Laut der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. leiden allein in Europa rund 60 Millionen Menschen an einer Angststörung; ungefähr zwölf Millionen sind es in Deutschland. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Angststörungen sind noch vor Depression die häufigste psychische Erkrankung überhaupt.

Warum die Zahlen so hoch sind, wundert mich überhaupt nicht. Kriege, Klimawandel, die Corona-Pandemie und andere Faktoren befeuern Angststörungen im heutigen Zeitalter, aber vielleicht haben auch die Traumata unserer Urgroßeltern etwas zu unseren Ängsten heute beizutragen. In der Epigenetik befassen sich Wissenschaftler:innen unter anderem mit der Frage, ob Ängste vererbt werden können. Forscher:innen von der Emory University School of Medicine in Atlanta haben dazu Versuche mit Mäusen gemacht. Männliche Mäuse bekamen über einen längeren Zeitraum elektrische Schläge, sobald sie das Aroma von Kirschblüten zu riechen bekamen. Dieses Trauma veränderte nachweislich das Gehirn dieser Mäuse. Weibchen, die mit dem Sperma der traumatisierten Mäusen befruchtet wurden, bekamen Nachkommen, die auf den Geruch von Kirschblüten mit Nervosität reagierten und das obwohl weder Mutter noch Nachwuchs jemals diese Trauma-Erfahrung am eigenen Leib erlebt hatten. 

Angst und Verdauung

Vielen Menschen schlägt Angst auf den Magen. Die Folgen können Magenschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Appetitlosigkeit und Verstopfung sein. Das ist auch erst einmal gar nicht ungewöhnlich, denn unser Nervensystem ist mit unserem Verdaungstrakt eng verbunden. Sehen wir uns dieses doch mal genauer an: 

Es gibt verschiedene Nervensysteme. Das somatische Nervensystem steuert die bewusst ablaufenden Körperfunktionen, zum Beispiel Bewegungen wie Laufen oder Klatschen.

Das vegetative Nervensystem, auch autonomes Nervensystem genannt, steuert die unbewusst ablaufenden Körperfunktionen, zum Beispiel den Herzschlag. Zum vegetativen Nervensystem gehören der Sympathikus, Parasympathikus und das enterische Nervensystem.

Für unsere Angst-Thematik sind der Sympathikus und der Parasympathikus interessant: Der Sympathikus ist für Flucht und Kampf zuständig; er hat eine aktivierungsfördernden Wirkung auf Körper und Organe. Der Parasympathikus ist der Gegenspieler des Sympathikus und dient der Entspannung und hat eine aktivierungshemmende Rolle.

Um zu verstehen, was die Auswirkungen für Angstpatienten sind, müssen wir begreifen, wie die Informationen zwischen Gehirn und Organen verlaufen. Die Informationsweiterleitung über den Zustand eines Organs erfolgt über Afferenzen (Nervenfasern, die zum Gehirn führen) ins Zentrale Nervensystem, in dem die Information verschaltet und über Efferenzen (Nervenfasern, die vom Gehirn weg) zurück zum Organ geschickt werden.

Das Gehirn hat also eine direkte Verbindung zum Verdauungssystem und umgekehrt. Reaktionen des Nervensystems auf Angst und Panik haben starke Auswirkungen auf den Verdauungstrakt und die Harnblase.

Bei Gefahr wird die Darmaktivität gehemmt, bei extremer Gefahr kommt es oft zu einer rascher Darmentleerung; hier hatten Sympathikus und Parasympathikus ihre Finger im Spiel.

Für Menschen mit einer Angststörung sind Blasen- und Magen-Darm-Probleme schwierig, weil sich Angst und Organ-Informationen wechselseitig ungünstig beeinflussen. Es kann bei einer ausgeprägten Angststörung dazu führen, dass Hunger mit Angst verwechselt wird. Gibt also der Magen Bescheid, dass er Arbeit (also Nahrung) benötigt, bekommt das Gehirn die Information „Bedrohung“ geliefert, obwohl gar keine Gefahr besteht. Erkennt das Gehirn Gefahr, zum Beispiel bei einer spezifische Phobie wie vor Autofahren, weil die Angstperson in ein Auto steigen muss, bekommt der Magen-Darm-Bereich die Information geliefert, das gehandelt werden muss. 

Bei Menschen mit einer generalisierten Angststörung machen die Afferenzen und Efferenzen Überstunden. Magen-Darm und Gehirn spielen sich dauernd Informationen zu.

Wer also ständig zwischen Angst und Panik wechselt und wenig ruhige Momente im Alltag hat, entwickelt mit großer Wahrscheinlichkeit ein Reizdarmsyndrom, denn das Nervensystem ist komplett überlastet. Die Informationsflut von Magen zu Gehirn und zurück überfordern das ganze Nervensystem.

Ein ruhiges Nervensystem sorgt für eine entspannten Verdauung.