Zwei Stunden mit Timor
Zwei Stunden mit Timor

Zwei Stunden mit Timor

Gegen 19:20 Uhr fahren wir mit dem Bus los. Meine Bauchschmerzen haben sich verschlimmert. Ich spüre den Druck meines Enddarms, aber noch gibt es keinen Handlungsbedarf. An der Haltestelle Horner Redder bemerke ich, dass meine Arme schwer werden und es rund um den Brustkorb unangenehm eng wird. Beim Aussteigen aus dem Bus stelle ich fest, wie sich das Gefühl in meinen Beinen verändert hat. Sie sind unangenehm leicht und gleichzeitig aber auch kribbelig; sie fühlen sich ein wenig so an, als wäre ich gerade ein paar Kilometer gelaufen. Mittlerweile glüht auch mein Gesicht. Meine Hände dagegen sind eiskalt. Das Atmen durch die Maske ist unangenehm, aber noch brauche ich den Notfallzettel meiner Therapeutin nicht. Mir ist ein bisschen schwindelig, so, als hätte ich mich einmal zu viel um mich selbst gedreht. Mir ist schlecht und ich spüre die Übelkeit in meinem Hals. Benjamin, mein Hund, sieht so aus wie ich mich fühle. Er hechelt schnell und viel und er zittert am ganzen Körper. 

Im Zug versuche ich mich abzulenken, schaue mir die Sitze in der U-Bahn genauer an und beschreibe sie mir in Gedanken. Mein Blick wechselt zur Werbung an der Fensterscheibe. Was darauf stand, weiß ich nicht mehr. Ich denke an meine Therapeutin, die mir vor einigen Sitzungen erklärte, wie ich meine Angst besiegen könne, was meiner Angst in diesem Moment gut zuspielt. Ich versuche meine Gedanken weg zu lenken und mich stattdessen zu konzentrieren und weitere Gegenstände in Gedanken zu beschreiben. Doch dann bemerke ich, wie etwas in mir nachhorcht, ob sich dieses eine verdächtige, schlimme Gefühl anschleicht. Dieses Gefühl, als hätte man eine Treppenstufe verpasst. Denn dieses ins Leere fallen, läutet bei mir die Panikattacke ein. Aber nein, das Gefühl ist nicht da und scheint gerade auch nicht auf der Lauer zu liegen.  

Schnell wechsle ich meinen Gedanken zu etwas anderem. Ich überlege, einen Artikel über meine Angststörung zu schreiben und vervollständige einige Sätze in meinen Kopf, die ich später aufschreiben könnte. Noch drei Haltestellen. Ich bemerke erneut die bekannte Enge in meiner Brust, die verstärkten Herzschläge und muss mittlerweile deutlich häufiger Aufstoßen, als sonst. Meinen Herzschlag spüre ich mittlerweile in vielen Teilen meines Körpers, zum Beispiel im Bauch, am Hals, in den Armbeugen und auf meinen Fußrücken. Ich pule an meinen Fingern.

Wir steigen aus und ich nehme Benjamin auf den Arm. Den Bus 15 Richtung Agathe-Lasch-Weg müssen wir nehmen, dieser kommt auch gerade an. Wir steigen ein. Ich bin ein bisschen weniger nervös, als eben noch in der Bahn, habe aber mittlerweile Kopfschmerzen und ein Drücken an den Schläfen. Nach wie vor glüht mein Kopf, meine Arme sind schwer, meine Beine kribbeln, ich habe Bauchschmerzen, mir ist schlecht und etwas schwindelig. Nach vier Haltestellen steigen wir aus. Ich setze Benjamin ab und er hinterlässt erst einmal eine kleine Pfütze auf den Gehweg. Er ist genauso gestresst wie ich. 

Wir überqueren die Straße und gelangen in den Wohlers Park. Schön ist er und man bemerkt sofort, dass dieser etwas alternativer ist als andere Parks. Viele Menschen sind unterwegs. Ich sehe viele Becks-Flaschen. Komisch, dass Menschen diese Plörre echt mögen. Wir sehen Menschen auf Slacklinen, nehmen Cannabis-Gerüche wahr, sehen viele kleine Grüppchen. Eine kleine Gruppe spielt Hacky Sack.

Mir geht es besser und wir gehen eine Runde durch den Park spazieren. Jens findet den Platz, an dem früher mal das Bondage-Picknick stattgefunden hat, nicht wieder. Wir unterhalten uns über das Hundeverbot im Wohlers Park. Laut hamburg.de sind sogar Führungshunde verboten, was ich nicht für rechtskräftig halte, da es diskriminierend wäre, eine ganze Gruppe Menschen auszuschließen. Wir sind nicht die Einzigen, die trotz des Hundeverbots mit ihrem Hund spazieren gehen.

Uns führt es raus aus dem Wohlers Park Richtung Altonaer Fischmarkt und irgendwann werde ich wieder nervöser. Meine Bauchschmerzen und das Gefühl, auf Toilette zu müssen, kommen zurück. Ich möchte nach Hause. Wir gehen weiter, durch den jüdischen Friedhof, bis ich mich schließlich laut und nicht mehr gedanklich äußere, dass ich jetzt nach Hause möchte. Benjamin sieht mittlerweile wieder ganz glücklich aus – jedenfalls bis wir die Bahn erreichen. In der S-Bahn Richtung Landungsbrücken kommt das komische Gefühl in Beinen und Armen zurück, das ich beim Spazierengehen nicht mehr hatte. Ich fühle mich unsicher, obwohl ich diese Strecke schon einmal gefahren bin.