Zwei Stunden mit Timor
Zwei Stunden mit Timor

Zwei Stunden mit Timor

Ich denke an die Zeit in Prag und bin ehrlich dankbar, dass es mir nicht so geht, wie noch vor vier Wochen. 

Mein Partner und ich machten vier Tage Urlaub in Prag und dieser Urlaub war leider überwiegend anstrengend, beängstigend und unangenehm und beinhaltete einen Aufenthalt im Krankenhaus, genau wegen meiner Angststörung. Die Symptome in Tschechien waren überwältigend. Wie auch sonst hatte ich neben den klassischen Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, einem heißen Kopf und kalten Händen, Schwindel, Übelkeit, Enge in der Brust und (leichte) Angst auch noch mit weiteren Symptome wie Schüttelfrost, der elf Stunden anhielt; Herzrasen; Herzschmerzen; eine andere Art Bauchschmerzen; Magenkrämpfe und einer Scheißangst zu kämpfen gehabt. Mir ging es so schlecht, dass ich zu meiner Mutti wollte. Ihr kennt dieses Gefühl vielleicht. Das Gefühl in großer Gefahr zu sein und zu seiner Mama zu wollen, weil man dort in Sicherheit ist. Statt meiner Mutter, die über 700 Kilometer weit von mir entfernt war, wollte ich zu einem Arzt. Bei diesen Symptomen hätte ich mich in Hamburg in eine Klinik fahren lassen. Also fuhren wir ins Krankenhaus. 

Der Aufenthalt im Klinikum war überraschenderweise gar nicht so schlecht. Ja, mir ging es dreckig und die Wartezeit war furchtbar, aber der Arzt, der mich untersuchte, war unfassbar lieb und nahm mich sofort ernst. Dieses Gefühl bekomme ich von Ärzten in Deutschland nur sehr selten zu spüren. 

Nach 6 Stunden Aufenthalt, wovon mindestens 5 Stunden reine Wartezeit waren, einer Ultraschall-Untersuchung am Bauch und einem intravenösen Cocktail gegen Schmerzen bekam ich noch drei Xanax-Tabletten zum Einschlafen mit. Zwei dieser Tabletten kamen im Laufe des Urlaubs auch noch zum Einsatz. Ich verstehe sehr gut, warum diese Tabletten nur mit Vorsicht zu genießen sind, denn sie machen leicht abhängig. Warum das so ist, ist anhand einer kurzen Beschreibung leicht erklärt: 

Ein anderer Tag in Prag; andere Situation; sehr ähnlichen Symptomen, wie bereits ausführlich beschrieben; fuhren wir nach einem Versuch einen Ausflug zu machen, wegen meiner Angst zurück ins Hotel. Nach einer ausführlichen Besprechung mit meinem Partner und meinem besten Freund, dass jetzt der Moment gekommen sei, der die Einnahme der Xanax-Tablette erlaubte, veränderte sich in mir nach ungefähr 30 Minuten einfach alles. Ihr müsst euch das so vorstellen: Ich lag verheult und heulend im Bett unseres Hotelzimmers, war überzeugt, dass mein Leben nie wieder schön wird und ich morgen nach Hause fahren werde, weil Prag mir nicht gut tat, und nachdem die Tablette zu wirken begann, setzte ich mich hin, strich meine Tränen aus den Augen und fragte, ob wir vielleicht Burger essen gehen wollen. Es war nicht nur so, dass meine körperlichen Symptome – Herzrasen, Enge in der Brust, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Magenkrämpfe, Fiebergefühl, eiskalte Hände, Angst und leichter Schüttelfrost – komplett verschwunden waren, ich hatte sogar Appetit und Lust, etwas zu unternehmen. Von Müdigkeit, die eigentlich eintritt, wenn man dieses Medikament nimmt, war keine Spur zu sehen. Mit ein bisschen mehr Mumm hätte ich sogar fast die hübsche Kellnerin angeflirtet, aber die Vernunft siegte über die Leichtigkeit, die meinen Körper und Geist wohlig umarmte. 

Zurück in Hamburg, U-Bahn-Haltestelle Horner Rennbahn. Als Benjamin und ich die Bahn zu Fuß verlassen – mein Partner machte einen Abstecher in die Firma –, beruhigt sich mein Bauch. Es tritt eine Art Hungergefühl ein. Es ist nicht das klassische Gefühl, Appetit und Hunger auf etwas zu Essen zu haben. Es ist mehr eine Mischung aus Gefühl, Erfahrung und Sorge, dass ich etwas essen sollte, denn würde ich nicht bald etwas essen, würde mir definitiv schlimmer übel werden. Der Fußweg nach Hause ist ermüdend, und im Treppenhaus ist jede Stufe zu viel, aber ich bin endlich zu Hause. Das Fiebergefühl wird noch bis zum Schlafen bleiben, aber endlich fühlen sich Beine und Arme wieder normal an, die Enge in der Brust ist weg, der Schwindel ist verschwunden und die leichte Übelkeit schiebe  ich auf den „Hunger“. Gegen 21:30 Uhr, also fast 2 Stunden nachdem wir das Haus verließen, schließe ich die Wohnungstür auf. Benjamin legt sich sofort in sein Körbchen, ich ziehe meine Schuhe aus, schaltet den Computer an und fange an zu schreiben.

Wie fühlt sich eigentlich ein Leben ohne Angststörung an?


Kleine Belastung

Meine Angst hat einen Namen: Timor. Das kommt aus dem Lateinischen und heißt Furcht.

Ich habe Angst vor Panikattacken. Es ist nicht so, dass ich Angst vor U-Bahn-Fahrten hätte oder Angst vor der Stadt Prag. Sobald ich mein Zuhause weiter als 40 Minuten Entfernung verlasse, werde ich nervös. Meine Anspannung steigt und die Sorge vor einer Panikattacke wird stärker. Das hängt wahrscheinlich mit meiner ersten traumatischen Panikattacke von 2019 zusammen.