Lasst uns drüber reden
Über Sex reden? Was das betrifft, hab’ ich recht wenig Hemmungen.
Was mir viel schwerer fällt: Darüber zu sprechen, dass ich gerade kaum welchen habe.
Und das scheint nicht nur mir so zu gehen: Über sexuelle Unlust wird selten gesprochen. Selbst in sexpositiven Kreisen, in denen Offenheit und Ehrlichkeit eigentlich an der Tagesordnung ist, ist ein Mangel an Libido häufig ein unliebsames Thema. Gerade weil uns Sex so wichtig ist, fällt es uns schwer zuzugeben, wenn wir gerade keinen wollen oder er nicht mehr gut funktioniert – auch wenn uns eigentlich klar ist, dass das durchaus ein normales Phänomen ist.
Kürzlich unterhielt ich mich mit einem Vater, dessen Kind fast genauso alt ist wie meines. Als er mich unmittelbar nach meinem Sexleben fragte, habe ich mich überwunden und ehrlich darüber berichtet.
Seine Reaktion war äußerst positiv. Die Nachricht, die ich ihm geschrieben hatte, habe er auch gleich seiner Frau vorgelesen. Ihnen ginge es nämlich ganz genauso wie mir und meinem Mann.
Es tat mir wirklich gut zu hören: Ich bin nicht allein.
Und weil es sicher auch anderen so geht, möchte ich hier darüber schreiben. Weil es menschlich ist, dass wir nicht ständig Lust haben und diese dann auch noch immer in großartigen Sex umsetzen. Weil dieses Thema in Gesprächen selten ohne Scham angesprochen wird, obwohl es doch so normal ist. Weil mir klar wurde, dass es vielen anderen auch so geht, als ich bei vertrauten Menschen näher nachgefragt habe und diese offen berichteten.
Für Libidoverlust oder körperliche Einschränkungen beim Sex gibt es zahlreiche Gründe: Medikamente wie zum Beispiel Blutdrucksenker oder Antidepressiva, psychische Erkrankungen, körperliche Leiden wie Diabetes oder Schilddrüsenunterfunktion, Stresssituationen oder eine veränderte Hormonlage.
In meinem Fall war es die Geburt meines ersten Kindes.
„Über drei Viertel der frisch gebackenen Eltern hat monatelang totale Flaute oder klagt sogar über dauerhaft schlechteren Sex.“
„Kinder verstehen“ von Herbert Renz-Polster
Schon in der Schwangerschaft merkte ich, dass sich meine Libido veränderte. In den ersten drei Monaten hatte ich starke körperliche Beschwerden, Schmerzen und damit auch keine Lust auf Sex.
Von vielen wird berichtet, dass gerade im vierten bis sechsten Schwangerschaftsmonat besonders große sexuelle Lust besteht – in meinem Fall war das nicht so. Immerhin hatte ich aber wieder in einem normalen Maße Sex und fühlte mich dabei körperlich sehr wohl. Ich bin leicht zum Orgasmus gekommen. Ein erfreuliches Detail. Allerdings ist Libido für mich sehr viel mehr als das. Es ist sexuelle Energie im weiteren Sinne: Unternehmungslust, Fantasienreichtum, die Wahrnehmung potenzieller Sexualpartner:innen, ein gutes und kraftvolles Körpergefühl… doch all das ist bei mir eng mit dem Eisprung verknüpft, der in der Schwangerschaft natürlich wegfiel. Dennoch genoss ich es, dass mir in dieser Phase Sex körperlich einfach gut getan hatte. Es war auch schön, dass ich zumindest meine Lust am Experimentieren nicht verloren hatte, die mir in dieser Zeit viele spannende Stunden mit meinem Freund bescherte.
In den letzten drei Monaten der Schwangerschaft traten dann allerdings die starken Veränderungen meines Körpers in den Vordergrund, die mich nicht nur im Alltag behinderten, sondern auch verunsicherten. Trotzdem hatte ich immer noch Sex, nun allerdings auf eine andere Art. Und das war auch völlig in Ordnung. Die Häufigkeit, in der ich mit meinem Mann im Bett landete, nahm jetzt deutlich ab. Das lag vor allem daran, dass wir nun eine andere Art der Intimität teilten und andere Dinge unsere Neugier auf sich zogen: Dass er seine Hände auf meinen Bauch legt, um die Bewegungen des Nachwuchses zu spüren; dass wir einfach nur kuscheln und überlegen, wie die Zeit mit Kind wird oder über die Herausforderungen der Geburt sprechen – all das waren Dinge, die nun
in den Vordergrund rückten und Sexualität weniger wichtig sein ließen.
Mich besorgte das zuweilen, obwohl ich mir sicher bin, dass es ein natürlicher Prozess ist, sich in dieser Phase auf eine andere Art nah zu sein als vorher.
Damals dachte ich, dass meine Sexualität nach der Geburt wieder aufblühen würde – doch das Gegenteil war der Fall.
Der Grund dafür war nicht die Geburt selbst: Die Geburtsverletzungen verheilten innerhalb einiger Wochen. Die Tatsache, dass mir mein Mann die Kotztüte gehalten hatte, während ich mir in den Presswehen die Seele aus dem Leib schrie, änderte nichts daran, dass wir einander noch attraktiv fanden. Schon im Wochenbett verspürte ich wieder vermehrt Libido. Doch als wir endlich ein paar ruhige Minuten hatten, während das Baby schlief, und mein Mann nach kurzem Vorspiel in mich eindrang, spürte ich: Das tut verdammt weh!
Meine Frauenärztin sagte, dass die Schleimhäute aufgrund der Hormonlage beim Stillen trocken sind und das bei vielen Frauen zu Schmerzen beim Sex führt. Ich solle Gleitgel verwenden, hormonelle Cremes seien während der Stillzeit leider nicht geeignet. Mehr Tipps hatte sie nicht.
Für mich war das frustrierend. Gleitgel löst das Problem nicht wirklich. Wir versuchten es noch einige Male, doch das war mit großen Herausforderungen verbunden. Zum Glück war mein Mann einfühlsam, aber natürlich auch etwas verunsichert – und ich ärgerte mich über meinen Körper, denn ich wünschte mir einfach, Sex würde sich endlich anfühlen wie früher.
Wir versuchten es im Abstand von einigen Wochen immer wieder. Uns war klar, dass wir uns am besten viel Zeit und Ruhe dafür nehmen sollten – doch genau daran mangelt es im Alltag mit Baby. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen.
Auch für ausgedehnte Massagen oder eine Fessel-Session hatten wir in dieser Situation keine Muße, genauso wenig wie zum Ausprobieren neuer Praktiken. Erstaunlicherweise waren wir beide auch recht fokussiert auf klassischen Penetrationssex. Das kam vor allem dadurch zustande, dass ich üblicherweise zum Orgasmus komme, indem meine Vagina penetriert und meine Klitoris gleichzeitig sanft stimuliert wird. Auf anderem Wege zu kommen, ist für mich schwierig und kommt nur selten vor. Vielleicht spielte es aber auch eine Rolle, dass klassischer Penetrationssex die Norm ist und uns daher “unkompliziert” oder besonders erstrebenswert erschien.
Oralsex, an dem wir beide schon immer viel Freude haben, konnten wir erfreulicherweise wie gewohnt genießen. Allerdings wünschten wir ihn uns eher als Ergänzung anstatt als Ersatz zur Penetration.