Pinky Glove – mehr als ein Handschuh
Pinky Glove – mehr als ein Handschuh

Pinky Glove – mehr als ein Handschuh

Pinky Glove – mehr als ein Handschuh

Im April 2021 präsentierten Eugen Raimkulow und André Ritterwürden ihre neueste Erfindung: einen pinken Tampon-Handschuh. Was zunächst eine harmlose und erfolgreiche Präsentation zu sein schien, entwickelte sich schnell zu einem Shitstorm in den sozialen Medien, der letzten Endes zur Beerdigung des Start-ups führte.

Erstickt zwischen den unzähligen Morddrohungen und persönlichen Angriffen gegen die Beiden, fand man aber auch faire Kritik. Kritik, die sich nicht nur gegen einen Handschuh richtet, sondern gegen ein komplettes System, welches weibliche Start-ups und Unternehmerinnen noch schneller begräbt, als es bei Pinky Gloves der Fall war. Ein System, welches 
weiblichen Erfinderinnen gar nicht erst eine Plattform verleiht. Und dies gilt es hier anzusprechen, denn es ist nicht nur, wie man so schön sagt, Scheiße, sondern tatsächlich ein lebensgefährliches, strukturelles Phänomen, das zur Folge hat, dass Produkte nicht an Frauen angepasst werden, sondern andersrum.

Was passiert, wenn wir Frauen beim Produktdesign ausschließen? Im Fall pinker Handschuh nix Gravierendes. Es entsteht ein Produkt, das an sich keiner Frau wirklich hilft und teurer ist als alternative Produkte, Stichwort Pink Tax. Unter dem Vorwand, Frauen eine Lösung zu verkaufen, wird ihnen ein Problem verkauft und dann die Lösung in Pink gleich mit. Ob die Erfinder so weit gedacht haben, ist uns nicht bekannt, aber, dass Industrien öfter darauf verfallen, Frauen ein Problem zu verkaufen, um uns dann die Lösung hinterher zu schieben, ist bekannt. Und ob Absicht oder nicht, bei den Handschuhen war das nicht anders.

Wie Simone de Beauvoir uns sagte: „Die Vorstellung der Welt ist, wie die Welt selbst, das Produkt der Männer: Sie beschreiben sie von ihrem Standpunkt aus, den sie mit dem der absoluten Wahrheit gleichsetzen”. Auf gut Deutsch also: Männer verkaufen uns, was Männer denken, dass Frauen brauchen. Harmlos? Nicht ganz.

One size fits men

Es fängt bereits bei angeblich geschlechtsneutralen Produkten an, mit dem Prinzip „one size fits men”. Von Instrumenten, Werkzeugen, Handys und Spracherkennungssoftware bis hin zu Autos. Ein Meer vor Produkten, welches an Frauen genau so vermarktet wird wie an Männer, aber grundsätzlich nicht an Frauen angepasst oder für Frauen entwickelt ist – und die Folgen dessen müssen uns bewusst sein.

Fangen wir also ganz einfach an: Instrumente. Es klingt fast schon so, als würde ich als Frau nach Gründen suchen, die Welt zu hassen, aber es geht hier um ein Gesamtbild und Klaviere gehören nunmal dazu. Frauen sind allgemein kleiner als Männer und das gilt auch für unsere Hände. Mit 18,8 Zentimeter sind die Oktaven auf einer Standardklaviatur größer als die durchschnittliche Spannweite der weiblichen Hand (17,8 Zentimeter), was dazu führt, dass laut Studien 87% der erwachsenen Pianistinnen benachteiligt werden. Das ist nicht nur schädlich für die Karriere, sondern auch für die Gesundheit. Wir wissen nämlich, dass Pianistinnen in einer Studie zu 78% das RSI-Syndrom entwickelten, im Vergleich zu 47% der Männer. Und weil wir schon bei Handgröße sind, müssen wir über Smartphones reden.

Bei Smartphones fehlen geschlechtsbasierte Daten über die Auswirkung riesiger Handys, aber wir wissen, dass sie zu groß für die durchschnittliche Hand einer Frau sind. Das ist Herstellern wie Apple bewusst, warum aber nichts daran geändert wird, bleibt offen. Eine Theorie des Journalisten James Ball begründet dies wie folgt: Man geht davon aus, dass die Kaufentscheidung über ein Smartphone nicht von Frauen, sondern von Männern getroffen wird. Die Bedürfnisse der Frauen werden also nicht in Acht genommen. Ironisch, denn Frauen besitzen häufiger iPhones als Männer.
Aber zum Glück wird uns hier schon die perfekte Lösung vorgeschlagen: Sprachbedienung. Wichtige Voraussetzung für diese Funktion wäre, dass das Gerät die Stimme der User erkennt; Google meint, die Software soll zu 95% akkurat sein. „Akkurat für wen genau?” ist die Frage, denn es sind nicht Frauen. Forscher wie Dr. Rachael Tatman haben nämlich gezeigt, dass diese Software circa 13% exakter bei Männerstimmen als bei Frauenstimmen funktioniert. Und das bei der besten Software auf dem Markt, nämlich Google.

Zum Glück dürfen wir Frauen für Produkte, die uns nicht so dienen, wie sie sollten, genau so viel zahlen wie Männer. Vielleicht fragt sich jetzt der ein oder andere, was denn nun daran so lebensgefährlich ist? Ist ja nicht so, dass ein Handschuh mich beim Tampon Wechseln angreifen wird. Tja, ein Handschuh nicht, Spracherkennung im Auto vielleicht schon.

Sie soll schließlich dazu dienen, dem Fahrer das Fahren zu erleichtern und unnötige Ablenkungen bei der Bedienung zu vermeiden. Spätestens wenn ich mein Auto anschreien muss, um herauszufinden, in welche Richtung ich soll, bin ich aber doch etwas abgelenkt. Diese Software existiert übrigens nicht nur in Autos, sondern auch in der Medizin. Die Lösung? Frauen sollten doch einfach deutlicher sprechen. Interessante Aufforderung, denn Studien zeigen, dass die Verständlichkeit weiblicher Sprache signifikant höher ist.

Bleiben wir aber bei Autos und der Unfähigkeit von Frauen, diese zu fahren. Frauen und Autos sind ja so eine Sache, muss vielleicht am Auto-Gen liegen, welches auf dem Y-Chromosom liegt. Entweder das oder Autos sind von Männern für Männer entwickelt und von Frauen dadurch schwieriger und unsicherer zu bedienen.

Klingt fast schon absurd, ist es aber nicht. Studien zeigen nämlich, dass Männer zwar öfters in Autounfälle verwickelt sind, Frauen aber überproportional oft darin sterben oder schwer verletzt werden. Um genauer zu sein ist die Wahrscheinlichkeit einer Frau, in einem Unfall schwer verletzt zu werden, 47% höher als beim Mann und dass sie stirbt um 17% höher. Selbst wenn Parameter wie Größe, Gewicht, Anschnallgurt und Intensität des Aufpralls herausgerechnet werden.

Die Erklärung dafür ist eine ziemlich einfache und somit eigentlich auch die Lösung. Frauen sind im Durchschnitt kleiner, müssen also im Vergleich zu Männern weiter vorne sitzen. Dies weicht aber von der richtigen und sicheren Position ab. Diese Abweichung erhöht nicht nur das Risiko für Bein-, Schulter-, Hals- und Rückenverletzungen, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit zu sterben. Dass wir solche Fehldesigns erst nach der Vermarktung feststellen, hängt damit zusammen, dass Crash Dummys oft mit männlichen Durchschnittsgrößen übereinstimmen. Regulierungen, die Hersteller dazu zwingen, solche Tests auch mit weiblichen Dummys durchzuführen, gibt es in der EU derzeit noch nicht. Von schwangeren Crash-Dummys brauche ich gar nicht erst zu reden. Und selbst wenn „weibliche” Dummys eingesetzt werden, so sind sie oft nur kleinere männliche Dummys. Frauen sind aber nicht einfach nur kleinere Männer. Sie haben unterschiedliche Muskulatur und Gewichtsverteilung, die berücksichtig werden müssen. Vor allem unterscheiden sich die Bedürfnisse zwischen Männern und Frauen!

Dies sind keine neuen Erkenntnisse. Warum dann Porsche die Verkaufszahlen an Frauen, vor allem in Deutschland, durch ein pinkes Autodesign zu steigern plant, ist ein Rätsel. Wie Porsche zu dem Fazit gekommen ist, dass das die Lösung für den weiblichen deutschen Markt ist, keine Ahnung. Denn Porsche selbst sagt, dass vor allem deutschen Frauen Umweltfreundlichkeit und – Achtung – Sicherheit beim Kauf eines PKWs wichtig sind. Andere Faktoren wie die Tatsache, dass Frauen öfter mit einem Kind unterwegs sind, werden nicht erwähnt. Wie kinder- bzw. familienfreundlich ein Porsche ist, scheint auch nicht relevant zu sein. Das heißt, Porsche selbst ist bewusst, dass wichtige Einflussfaktoren Umweltfreundlichkeit und Sicherheit sind, auch Technik und Performance sind bei Frauen oben mit dabei.

Warum dann der Fokus auf Design? Warum ist die Lösung dann ein pinkes Auto? Ach Moment, es ist nicht nur pink, es ist sogar „Frozen Berry”. Ich bin begeistert. Der Hersteller weiß auch, dass die Verkaufszahlen in Ländern wie China höher sind und zwar deutlich. Der Anteil an weiblichen Käuferinnen liegt in Deutschland bei 8%, in China bei 47%. Muss wahrscheinlich an der Farbpräferenz deutscher Frauen liegen.

Warum spricht Porsche nicht Sicherheit und Umweltfreundlichkeit an? Wäre es nicht eine unglaublich tolle Kampagne, auf die Sicherheitsmakel der Industrie aufmerksam zu machen und sie zu lösen? Ein Produkt an Frauen zu vermarkten, was auch tatsächlich auf uns abgestimmt ist? Gut fürs Image und kann von mir aus auch pink sein.

Me(n)dizin

Auch in Sachen Medizin ist der Mann immer noch Maß der Dinge. Wir wissen, dass weibliche und männliche Körper biologisch komplett unterschiedlich sind und somit auch unterschiedlich behandelt werden müssten. Die Realität sieht jedoch anders aus, denn bis heute werden Frauen in Medikamententests und Studien unzureichend berücksichtigt. Zwar ist die Zahl der weiblichen Teilnehmerinnen in den letzten Jahren gestiegen, aber noch lange nicht signifikant genug. Die Hälfte aller in 2018 und 2019 zugelassenen Medikamente wurde hauptsächlich auf Männer getestet. Selbst bei Tierversuchen werden größtenteils männliche Tiere eingesetzt. Vor allem schwangere Frauen und Frauen, die nicht verhüten, werden ausgeschlossen, mit der Folge des sogenannten „Gender Health Gap”.

Eine Umfrage des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) ergab in 2016, dass Gendermedizin in Deutschland nur unzureichend oder sehr unterschiedlich gelehrt wird. Die Folgen sind für Frauen fatal, denn oft führt die Abwesenheit von geschlechtsspezifischen Daten zur falschen Dosierung von Arzneimitteln. Was passiert, wenn die Nebenwirkungen dieser erst nach der Vermarktung erforscht werden, zeigt sich am Beispiel „Digoxin” in den 90er Jahren. Erst im Nachhinein stellte man fest, dass Digoxin bei Männern zwar wirkt, aber Frauen nach der Einnahme früher sterben. Hätte man die Tabletten pink gefärbt, wäre sowas vielleicht nicht passiert.

Die Tatsache, dass Diagnosekriterien vorwiegend am Mann orientiert sind, wird Frauen im Bereich der Medizin zum Verhängnis. Die Ausrede für die unzureichende Teilnahme von Frauen an Studien sind Hormonschwankungen und die Angst, Schwangeren zu schaden. Der weibliche Zyklus und ein schwankender Hormonhaushalt einer Frau bedeuten, dass es länger dauert, bis statistisch relevante Effekte nachgewiesen werden können. Laut Prof. Vera Regitz-Zagrosek ist dies jedoch nur eine Ausrede, für sie liegt der Grund dieser Diskrepanz eher daran, dass männliche Kollegen sich „keine Gedanken darüber gemacht haben, dass der weibliche Körper anders funktionieren könnte als der männliche Prototyp”.

Wenn es also in der Medizin schon Probleme gibt, Produkte beziehungsweise Medikamente auf Frauen abzustimmen, wie können wir es dann bei Autos und Menstruationsprodukten erwarten?

Pink reicht nicht

Produkte zu entwerfen, die von Männern für Männer gedacht sind, und sie dann an Frauen zu verkaufen, ist Schwachsinn. Dies resultiert in einer Welt, die für Männer existiert und der sich Frauen anpassen müssen, aber Frauen sind keine Minderheit und keine Abweichung. Wir existieren nicht als kleinere, dümmere, unfähigere Männer, sondern als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft. Sollten wir Frauen daran scheitern, uns an diese Welt anzupassen, ist es unsere Schuld. Wir können kein Auto fahren, wir stellen uns dumm an und sind bockig und zickig. Ich habe hier nur wenige Beispiele genannt, aber die traurige Wahrheit ist, dass sich dieser Trend durch alle Industrien zieht und im Alltag von Frauen präsent ist. Von Technologie, Hygiene, Autos bis hin zur Medizin, Kleidung und Instrumenten.

Die Männer, die diese Produkte entwerfen, sind keine bösen Männer, die es auf Frauen abgesehen haben. Sie sind einfach keine Frauen. Sie sind sich der Bedürfnisse und des Alltags von Frauen nicht bewusst. Und genau das zeigt auch Pinky Gloves. Die Erfinder sind für mich nicht teuflische Männer, die bewusst und aktiv versuchen, Frauen zu unterdrücken. Sie sind einfach keine Frauen. Und ich glaube, das ist auch der Grund, warum sie so ein dermaßen schlechtes Produkt erfunden haben. Sie wollten helfen. Wirklich geholfen hätte, eine Frau zu fragen und sie beim Entwurf und Design dabei zu haben.

Der Fall Pinky sollte uns deutlich machen, wie wichtig es ist, Frauen bei Produktentwurf und Design miteinzubeziehen, denn man steht sonst nicht nur blöd da, sondern man trägt schlimmstenfalls aktiv zur Verletzung und zum Tod von Frauen bei. Uns Medikamente, Autos, Handys und alle anderen Produkte zu verkaufen, ohne zu wissen, ob sie überhaupt für uns geeignet sind, ist irreführend und ausbeutend; Produkte einfach in Pink herzustellen reicht nicht.


Foto: Lisa (pexels)

https://www.researchgate.net/publication/287901848_PIANIST_HAND_SPANS_GENDER_AND_ETHNIC_DIFFERENCES_AND_IMPLICATIONS_FOR_PIANO_PLAYING

https://hbr.org/2019/05/voice-recognition-still-has-significant-race-and-gender-biases

https://oxford.universitypressscholarship.com/view/10.1093/acprof:oso/9780199545872.001.0001/acprof-9780199545872-chapter-14

https://www.motoringresearch.com/car-news/women-more-likely-injured-crash/

https://www.nbcnews.com/business/business-news/young-women-are-more-likely-die-car-crashes-men-flna6c10135394

https://assets.ctfassets.net/9nu7qkjcp5l0/3r1cv9w2PaRb36p3SEYtr4/9e10b729371d2b22abf23e20c5cd0508/Gender_Medizin.pdf

https://www.gofeminin.de/gesundheit/gender-health-gap-s4022223.html

https://www.fluter.de/gender-health-gap-kurz-erklaert