La vie en rose – Meine Erfahrung
Triggerwarnung: Ich habe diesen Artikel bewusst „Meine Erfahrung“ genannt, weil ich hier Dinge aus meinem Leben und meiner Perspektive schreibe. Aufgrund beschriebener sexueller Handlungen gegen meinen Willen, muss ich hier vorab die Leserschaft warnen. Der folgende Text enthält Informationen über meine Wahrnehmung in Bezug auf Themen wie Aufklärung, Konsent und Mobbing. Ich wurde 1990 geboren und im folgenden Text berichte ich, wie ich groß geworden bin.
Ich fand „Frau sein“ immer scheiße. Männer waren cool, hatten es einfacher. Männer bluten nicht einmal im Monat; etwas was ich bis heute nicht „mag“. Männer dürfen ein Bäuchlein haben, Frauen nicht. Bei Frauen muss der Bauch flach sein; ein Gedanke, den ich bis heute einfach nicht aus meinem Kopf heraus bekomme. Männer können Haare an den Beinen und unter den Achseln haben, Frauen nicht. Männer riechen besser als Frauen; ich meine damit die Parfüms, Duschgels und Deos FOR MEN.
Ich kann gar nicht genau sagen warum, aber ich fand die Rolle des Mannes immer entspannter und cool. Männer-Freundschaften sind nicht so kompliziert, wie die von Frauen. Männer können im Hochsommer oben ohne herum laufen.
Es gab eine Phase in meinem Leben, als ich 20 Jahre alt war, wo ich Männer so unsagbar cool fand. Alle Männer. Ich war so traurig, dass ich kein Mann bin.
Ich wollte ein Mann sein ohne ein Mann zu sein. Ich wollte keinen Penis, ich wollte – so weiß ich es heute – Privilegien haben, die Männer zu meiner Zeit und teilweise heute noch haben. Ich trug nie Röcke oder Kleider, darin habe ich mich immer Unsicher gefühlt und ich habe es nie verstanden, warum Frauen diese Kleidung gerne tragen. Ich hatte immer Angst, dass man mir darunter schauen kann. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so eine Erfahrung überhaupt jemals gemacht habe, aber ich hatte immer die Befürchtung, dass es passieren könnte.
Ich kannte als junge Erwachsene das Wort Feminismus nicht und wenn ich es gekannt hätte, hätte ich nicht gewusst, was es bedeutet.
Sehr lange habe ich mich für meinen Ausfluss geschämt, denn ich hatte nicht gelernt, dass Frauen Ausfluss haben. Ich trug jahrelang täglich eine Binde und manchmal sogar Tampons, damit nicht diese weiße eingetrocknete Flüssigkeit in meinem Unterhöschen ist, denn das ist ja eklig und dreckig. Ja, ich dachte das. Ich weiß nicht, ob wir im Sexualkunde-Unterricht einfach nur nicht aufgeklärt wurden, oder aber ich nicht aufgepasst habe; ich wusste es einfach nicht.
„Flachbrust“ nannte mich mal ein Nachbarsjunge, ein anderer Junge nahm mich in Schutz. Wegen meiner Oberweite wurde ich immer nur von Jungs angesprochen. Von Mädchen wurde ich immer angemacht, wegen der Klamotten, die ich trug. Ich weiß nicht was an meiner Kleidung falsch war. An eine Sache kann ich mich erinnern: Ich trug die Jeanshose in den Stiefeln. Ich wurde deswegen von Mitschülerinnen fertig gemacht. Ein paar Monate später war das der letzte Schrei und fast alle „coolen“ Mädchen trugen ihre Jeanshose in den Stiefeln.
Frauen sind gehässig zu anderen Frauen, jedenfalls war das meine Erfahrung, die ich während meiner Realschulzeit gemacht habe. Es ist nicht so, als wären die Jungs alle nett zu mir gewesen, nein, nein, aber Frauen mobben anders als Männer.
Von Mädchen wurde ich während der Realschulzeit niedergemacht, weil ich auf schueler.cc Selbstportraits zeigte. Manchmal zeigte ich viel Ausschnitt, manchmal hatte ich gar kein Oberteil an – das Bild war dann so zugeschnitten, dass die Nippel nicht zu sehen waren –, diese Portraits habe ich vor allem gemacht um mich selber zu finden und die Aufmerksamkeit von Jungs zu bekommen. Ich kannte keinen anderen Weg. Einmal hatte ich mir abstrakte, schwarze Tränen unter die Augen gemalt und weil ich es optisch nicht schön fand, dass die Träger des Tops zu sehen war, so klappte ich diese so herunter.
Ich war oft traurig, immer auf der Suche nach mir. Ich kannte wenig Möglichkeiten mir Luft zu machen oder mich zu finden.
Als ich mit 12 Jahren das erste Mal – ohne es zu wissen – Periodenkrämpfe hatte, lag ich im Wohnzimmer auf dem Sofa und machte einen Mittagsschlaf. Als ich aufwachte, war es nass zwischen meinen Beinen. Als ich sah, dass es Blut ist, war ich schockiert und ängstlich. Ich wusste nicht was mit mir los ist und rief meine Eltern an, die noch auf der Arbeit waren. Mein Vater meinte zu mir, dass ich wohl meine Periode bekommen habe. „Ach so.“ Wieso wusste ich das nicht? Ich verstehe es bis heute nicht. Wurde ich nicht aufgeklärt? Habe ich einfach nie aufgepasst? Habe ich die Zusammenhänge nicht verstanden?
Als ich mit 13 meinen ersten Freund hatte, der ein Jahr jünger war als ich – er fühlte sich für sein Alter ziemlich reif für Sex, obwohl sein Penis nicht fertig entwickelt war; wir hatten nie Sex – da sagte er zu mir, dass es eklig sei, dass ich Intimhaare habe. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich beschämt bei ihm unter der Dusche mit einem Rasierer irgendwie zwischen den Beinen rasiert habe. Alles weg, irgendwie. Versteht mich nicht falsch, er hat es sicherlich nicht besser gewusst, war selber in der Pubertät, kannte wahrscheinlich nur Pornos und dachte wohl, dass das so normal sei; also eine Frau ohne Intimbehaarung. Ich mache ihm keine Vorwürfe dafür, dass er mich beschämt hat.
Der selbe Freund, selbes Alter. Er wollte, dass ich ihm Nacktbilder schicke, da wir eine Fernbeziehung geführt haben. Natürlich bekommt mein Freund Nacktbilder von mir. Oh man, ich habe so viel Scheiße mit mir machen lassen. Auch hier möchte ich niemanden einen Vorwurf machen; vielleicht ist es noch ein Überbleibsel meines Nicht-Selbstwertes, meiner Glaubenssätze, dass ich immer falsch und alle anderen richtig sind.
Halten wir die Story kurz: Er schickte dieses Nacktbild seinem besten Freund, der mir dann nach unserer Trennung dieses, nur für meinen Freund bestimmtes Foto zuschickte. „Schau mal, ich habe dich nackt gesehen. Haha.“
Anderer Freund, anderes Alter, ich war – glaube ich – 16 Jahre alt und hatte eine Beziehung zu einem 21 Jahre alten Mann. Wir kannten uns nicht lange, ich war mit seiner Schwester befreundet. Es kam zum Sex, also waren wir danach ein Paar.
Allgemein kann man sagen, dass ich immer sehr schnell mit potentiellen Freunden in der Kiste gelandet bin, etwas wofür ich auch häufig von Frauen verurteil wurde. Ich dachte tatsächlich, dass ich für Sex zu haben bin, das Einzige ist, weswegen Jungs mit mir zusammen sein wollen. Das ist etwas, wofür ich mich all die Jahre und auch später sehr geschämt habe, etwas was ich nie so machen wollte. Es kamen dann Situationen mit 17-18 Jahren, wo ich statt mit meinem Freund zu schlafen, ihn zappeln ließ, obwohl ich wollte und Bock hatte.
Ich, immer noch 16, selber Freund. Er wollte Sexspielzeug benutzen, aber da er kein eigenes hatte, hatte er das seiner Mutter benutzt.
Ich wollte nicht, habe nicht nein gesagt. Habe das „nein“ sagen irgendwie nie gelernt.
Ich, heute 29 Jahre alt, kämpfe immer noch gegen meine Glaubenssätze an. In der Regel bin ich immer falsch und alle anderen sind richtig.
Rosa. Die Farbe Rosa fand ich mein ganzes Leben lang hässlich; jedenfalls habe ich mir das eingeredet. Ich kann mich sogar daran erinnern, dass ich mir mal ein rosa T-Shirt mit einer Katze aus Strasssteinen, gewünscht habe. Das T-Shirt war nicht günstig und deswegen fand mein Papa es wichtig zu wissen, ob ich dieses T-Shirt wirklich haben möchte. „Ja, ich möchte dieses T-Shirt haben.“
Ich habe es einmal getragen, danach nicht wieder, weil es ja rosa ist und rosa ist ja eine Mädchen-Farbe. Der Shitstorm in der Schule war zu groß für meine angeknackste Seele. „Also ist rosa eine hässliche Farbe.“ Weil Rosa ja nur Mädchen toll finden.
Ich, mein halbes Leben: Wenn ich bei meinem Freund war, so trug ich weder Binde noch Tampons, weil das ist ja unsexy! Ich wechselte häufig die Unterwäsche, damit keine eingetrocknete Flecken zu finden sind. Ich bin bei meinem Freund, es geht zur Sache, ich bin feucht zwischen den Beinen, weil ich halt feucht bin; wie ich bei all den ganzen Tampons und Binden überhaupt noch feucht sein konnte, ist mir wirklich ein Rätsel. „Du bist ja schon geil auf mich.“ Ach so, ja, bestimmt. Wenn ich feucht bin, dann ist das ja so. Wieso wusste ich nicht, das Frauen Ausfluss haben? Ich verstehe es bis heute nicht.
Jeden Abend, bevor wir Kinder schlafen gegangen sind, bekamen Mama und Papa ein Küsschen auf die Wange. Ich hatte eine, wie viele Jugendliche ja auch, nicht sehr einfache Pubertät und hatte häufig Streit mit meinem Vater. Gab es am Montag Streit, so zog sich die unangenehme düstere Stimmung bis in den Donnerstag. Also vier Tage, an denen ich mich zu Hause wirklich nicht wohl gefühlt habe. Tage, an denen ich Papa keinen Kuss geben wollte, es aber musste. „Bekomme ich denn gar kein Kuss? Du bist ja immer noch sauer auf mich.“ Oftmals war nicht ich, die sauer auf Papa war, sondern Papa war enttäuscht oder wütend auf mich. Ich war meistens einfach nur traurig und wütend, vor allem aber auf mich, weil ich ja die Fehler mache. Es gab natürlich auch Situationen, wo ich regelrecht um mich schlug – nicht psychisch – und allen anderen die Schuld gab, nur um mal nicht der Fehler zu sein. Ich hatte nicht den Raum bekommen, um auf meine Gefühle zu horchen und Dinge zu tun, die ich möchte.
Frauen haben langes Haar.
Ich habe in meinem Leben schon sehr häufig meine Frisur gewechselt. Spätestens nach einer Trennung, oft, weil ich was Neues brauchte, weil ich mich selbst gesucht habe. Ich hatte langes pechschwarzes Haar, kurzes hellblondes Haar, ich hatte orangenes Haar, braunes Haar, langes Haar, einen Undercut, mal links, mal rechts … Schlecht geredet wurden sehr viele Frisuren, vor allem die mit den kurzen Haaren oder der extremen Farbe; schlecht geredet von Familie und den Mitschülern.
Eine gute Frisur war mittellanges, braunes Haar, kein Pony. Vor allem wenn ich kurzes Haar hatte, kam von meinem Vater IMMER ein unangenehmer Spruch.
Komischerweise habe ich nie aufgehört nach mir zu suchen. Ich habe auch nie aufgegeben zu forschen, warum ich immer Bauchschmerzen habe. Einen Gewissen Grad an Selbstwert schien ich also schon immer zu haben.
Mein Leben war der reinste Kampf. Hinfallen, aufstehen, weiter machen, sich klein fühlen, sich groß und selbstbewusst fühlen, klein gemacht werden, hinfallen, trauern. Aufstehen, klein sein, weiter machen, anderen gefallen, sich groß machen, hinfallen.
Ich lernte, dass Männer mich mögen, wenn ich sexuell zu haben bin, nicht zu sehr weiblich, aber auch nicht zu männlich bin. Frauen mögen mich, wenn ich nicht selbstbewusst bin. Irgendwie so etwas.
Ich kann mich nur bruchstückhaft an meine Jugend erinnern.
Mit 24 Jahren hatte ich eine Phase, wo ich viel gedatet habe. Ich war auf JOYclub und Parship unterwegs. Ich habe sogar Geld für diese Plattformen bezahlt. Auf JOYclub lernte ich einen Mann kennen, der Erfahrung mit BDSM hatte. Ich kannte BDSM nicht. Die ganzen Schlüsselwörter auf seinem Profil waren irgendwie nicht in meinem Kopf angekommen oder ich kannte schlichtweg die Bedeutung nicht. Ich weiß es nicht.
Er war so dominant und charmant und … er hatte etwas ganz besonderes, das mich total angemacht hat. Zu unserem ersten Date sollte ich ohne Unterwäsche kommen. Es kam natürlich zum Sex. Er schlug mich ins Gesicht, er fingerte mich hart, er drückte seine andere Hand auf meine Blase, sodass ich urinieren musste. Er fickt mich, er würgte mich. Er legte mich so hin, wie er es wollte. Zwischendurch fragte er mich einmal, ob ich weiß, dass ich jeder Zeit Stop sagen kann. Ich wusste es nicht. Wollte ich das, was er mit mir gemacht hat? Ich weiß es nicht.
Der Sex ging lang, so ist es jedenfalls in meiner Erinnerung. Nach dem Sex fuhr ich nach Hause, stellte mich unter eine heiße Dusche und dachte nach. Mein Kopf war so leer. Es fiel mir schwer Worte und Gefühle zu finden. Ich war mir nicht sicher, ob ich das gut fand, was er mit mir angestellt hatte, aber ich wollte herausfinden, ob ich diese Art Sex mag. Also traf ich mich mit ihm wieder.
Beim zweiten Date, kam er zu mir nach Hause. Es kam natürlich zum Sex. Er nahm mich von hinten und steckte seinen Schwanz in meinen Arsch. Ich schrie „Stop“, er hörte nicht auf. Ich versuchte von ihm weg zu kommen, versucht die Wand „hoch zu klettern“, er kam mir hinterher. Ich sagte „Stop“. Er hörte auf und sagte „So groß ist er nun auch nicht.“ Ob wir danach weiter gemacht haben oder nicht, weiß ich nicht mehr. Ich glaube aber nicht, dass ich ihn rausgeschmissen habe.
Ich fuhr danach ein letztes Mal zu ihm. Er fingerte und fickte mich. Am nächsten Tag hatte ich sehr starke Schmerzen. Unter der Dusche pinkelte ich und es tat so stark weh, dass ich danach direkt zum Arzt gefahren bin. Ich pinkelte sogar Blut, so stark war die Harnwegsinfektion. Ich musste zwei Mal mit Antibiotika behandelt werden, weil die Infektion nicht weggehen wollte. Seitdem bin ich total Paranoid was die Hygiene angeht. Denn an dem Abend, wo ich etwas mit diesem Menschen hatte, kuschelte und krauelte er seine alte Hündin und wusch sich danach nicht die Hände, bevor er seine Finger in mich steckte. Während ich das aufschreibe, wird mir schlecht.
Ich lernte was Konsent ist erst nach diesen Erfahrungen, und Gespräche über Konsent kenne ich erst, seit ich Bondage auslebe. Auch hier habe ich doofe Erfahrungen gemacht, wie etwa mir vorwerfen lassen zu müssen, dass ich als Bunny doch immer bei jedem Rigger in Subspace fallen müsse. Ich machte schlechte Erfahrungen mit zwei Rigger-Paaren aus Norddeutschland. Musste mir anhören, dass ich keinen Grund hätte depressiv zu sein, weil ich ja alles hätte.
Immer wenn ich höre: „Och, wie gerne wäre ich wieder 18 Jahre alt.“ Denke ich mir: „Auf gar keinen Fall!“ Ich bin so froh jetzt angekommen zu sein. Dieses Wissen, das ich heute habe, möchte ich nie wieder hergeben und die Erfahrungen nicht wiederholen.
Foto: Karolina Grabowska (pexels)