Oder warum ich nur noch mit linksgrünversifften Feministen schlafe.
Mit der Kink-Szene bin ich im letzten Jahrzehnt zu einer aufgeklärten und selbstbewussten Frau gewachsen. Meine Sexualität so gut zu kennen und in allen Facetten auszuleben, hat sich für mich immer sehr empowerend angefühlt. Aber vor etwa einem Jahr hatte ich plötzlich einfach keine Lust mehr auf Sex. Das hatte mehr Auswirkungen auf mein Leben, als sich die meisten Menschen vorstellen können.
Blicke auf der Straße, Nachrichten in meiner Inbox, anzügliche Kommentare von Bekannten. Ich veröffentlichte einen Text über sexuelle Belästigung auf Fetlife und bekam Verständnis. Trotzdem hörte ich auf Bilder von mir auf Social Media zu posten und fing an mich beim Ausgehen anders zu kleiden. Gespräche über Sexualität führte ich weniger aufgeschlossen und unpersönlicher, wenn ich mich überhaupt auf sie einließ. Irgendwo dazwischen fragte mich einer meiner damaligen Partny auf einer Party vier Mal nach Sex, vier Mal sagte ich Nein, nach dem Warum fragte er mich nicht nur in dieser Nacht und nicht nur vier Mal. Ich sah es nicht ein, mich zu rechtfertigen und beendete die Beziehung. Meine Wut über den Sexismus in meinem Leben inspirierte mich, ein feministisches Bachelor-Arbeit-Thema zu wählen. Wenn ich darüber sprach, bekam ich unangenehme Laien-Diskussionen über „Not all men“-Bullshit und Sex-Verträge aufgezwungen. Als hätte ich nicht genügend Ahnung von Sexismus und sexualisierter Gewalt, wissenschaftlich und persönlich. Ich belegte Masterkurse in Gender Studies, um alle relevanten Diskussionen gewinnen zu können. Und ich diskutierte und diskutierte und diskutierte bis mir klar wurde: Das Siegesgefühl würde nie kommen.
Mein Ex-Partner schickte mir unterdessen wiederholt, unaufgefordert Sexphantasien und erotische Bilder, die ihn an mich erinnerten. Ich sagte ihm, wie unwohl ich mich damit fühlte, und bat ihn Sexualisierungen jeglicher Art zu unterlassen. Er sagte, er wisse nicht, wie er dann noch mit mir reden sollte und beendete den Kontakt. Es fiel mir schwer loszulassen, wie dieser Ex-Partner meine Qualitäten auf Sex und Spielen reduziert hatte, obwohl ich ihn in mein Leben gelassen hatte. Ich fing an Sexualität mit neuen Menschen generell nicht als erstrebenswert zu sehen, sie könnten ja „nur das eine“ von mir wollen. Irgendwann sandte mir mein unangenehmer Ex-Partner benutzte Slips von mir per Post zu, die ohne mein Wissen wohl ein dreiviertel Jahr bei ihm gelegen hatten. Ich fühlte mich benutzt und erniedrigt. So als hätte jemand meine Intimsphäre ungewollt tief penetriert. Sexualität wurde zu etwas, das Menschen mir aufzwangen.
Trotzdem hatte ich wunderbare Partnys, mit denen ich mich unglaublich wohl fühlte und gern Sex hatte. Doch immer häufiger kam es vor, dass alles in mir nur unkontrolliert ‚Stopp‘ schrie oder gar nicht erst ‚Los‘. Je weniger Sexualität ich mit Partnys auslebte, desto mehr wurde mir bewusst, wie sehr es diese unausgesprochene Erwartungshaltung in romantischen Beziehungen gibt. Meine Partny erklärten mir, wie abgelehnt sie sich dadurch fühlten und wie sehr Sex ihnen signalisierte in der Beziehung würde gerade alles gut laufen. Manchmal spürte ich schon Lust, vor allem mit mir selbst, aber mit Menschen war es etwas komplizierter. Ich fragte mich immer wieder, ob ich Menschen ohne meine sexuelle Verfügbarkeit etwas wert wäre. Meine Partnys wollten mir zwar keinen Druck machen, trotzdem wurde meine Unlust immer wieder Thema.
Ich machte ein systemisches Coaching aus, weil ich die Ambivalenz in mir nicht mehr verstand. Mir wurden Strategien gegeben, um mich wieder ‚an Sex ranzutasten‘. Ich probierte sie aus, kam mir dann aber dumm vor bei dem Gedanken für andere Menschen Sex zu haben. Denn für mich hatte all das längst keinen Wert mehr. Ein wichtiger Teil von mir war verloren gegangen und es fühlte sich unmöglich an ihn wiederzufinden. Ich beschloss, gar keinen Sex mehr zu haben. Meine Interaktionen mit Menschen veränderten sich. Ohne touchy-feely zu sein, wusste ich gar nicht mehr, wie ich auf Menschen zugehen soll. Und die Szene, die fühlte sich nicht mehr sicher und nicht mehr zuhause an mit einem Ex, der darin herum stolzierte, als würde ihm diese ganze Welt gehören. Meine Partnys fingen an, andere Menschen zu daten, um ihr Nähebedürfniss zu erfüllen. Ich fühlte mich, als sei ich defekt. Als sei ich falsch. Als wäre ich nicht komplett genug, um mit mir eine glückliche Beziehung zu führen. Der Druck wurde mit jedem neuen Date größer. Ich versuchte, Nähe anders zu schenken, aber es war schwer, diese internalisierten Gedankengänge umzulenken, für mich und für meine Partnys. Meine Probleme mit Sexualität sollten der Anfang vom Ende meiner bis dahin sehr glücklichen Beziehungen sein.
Inmitten von all dem Chaos verabredete ich mich mit jemandem, den ich einfach spannend fand. Ich hatte keine Erwartungen an ihn oder den Abend, nur diese Angst tief in mir und etwa hundert Flucht-Pläne. Irgendwo fühlte ich mich nicht mehr ganz wie ich selbst im Umgang mit neuen Menschen. Aber ich mochte die Ruhe, die er ausstrahlte. Plötzlich konnte ich alles andere so gut wegschieben, dass ich mich fast fühlte, als würde ich ihn mit meinen Küssen überfallen. Wir schliefen unerwartet miteinander. Nicht unerwartet, löste das viele Gedankenprozesse in mir aus – und Streitprozesse in meinen Beziehungen. Ich verstand nicht, was genau da passiert war, hörte mich aber wohl immer wieder davon schwärmen, wie dieser Mensch mit mir über ungenügendes Sexualstrafrecht und gute „Sex Education“-Folgen geredet hatte. Offensichtlich turnte Feminismus mich an. Wow, auch eine tolle Erkenntnis. Und so ging es in den darauffolgenden Monaten weiter, jedes Mal wenn wir uns trafen fand ich neue Momente, die in mir ein ‚Los‘-Gefühl auslösten: Gespräche über unfaire Gehaltsunterschiede, sexualisierte Gewalt, Sexualitätsnormen, ethische Pornos … Und schon hatte ich ihn wieder ins Bett gezerrt. Er war in vielen Dingen so zurückhaltend und überließ mir ganz die Kontrolle, ich weiß nicht, wann das zuletzt jemand getan hatte. Doch auch bei ihm gab es zunehmend Momente des ‚Stopps‘: Festgelegte Erwartungen, Sprüche über Sex, Desinteresse an mir als Person, unauthentische, performte Küsse … Und ich war wieder unsicher, ob ich das weiterverfolgen sollte. Wenn ich genauer hinsah, fragte ich mich manchmal, ob überhaupt Anziehung zwischen uns bestand oder ich die Absurdität einfach mochte aus irgendwelchen, unverständlichen Gründen Sex mit ihm haben zu können.
Inzwischen, über ein Jahr später, weiß ich, dass es das diffuse ‚Stopp‘ und das unverständliche ‚Los‘ nicht nur in meinem Kopf und als Metapher gibt, sondern Menschen neurologisch so funktionieren. Als mir Professor Emily Nagoski in Come as you are ausführlich erklärte, jeder Mensch habe seine ganz individuellen Bremsen und sein ganz eigenes Gaspedal, fielen plötzlich alle Puzzleteile ineinander. Ich verstand: Meine Bremsen mussten nur gelöst werden. Es war egal gewesen, wie sehr meine Partnys aufs Gas drückten. Mit den Diskussionen um mich rum, dem Alltags-Sexismus, den überall signalisierten Beziehungs-Erwartungen lagen einfach zu viele Steine auf der Bremse. Mein Kopf fing bloß an zu rauchen vor konfliktierenden Signalen, aber mein Körper kam nie in Fahrt, um mal bei dieser scheiß Metapher zu bleiben.
Es hat mich lange Monate und viel emotionale Arbeit gekostet, die Steine auf meiner Bremse zu verringern. Und dann traf ich zufällig jemanden wieder, mit dem ich mal einen unendlich schönen, intensiven Sommer verbracht hatte. Wir verquatschten uns in meinem Garten über Untenrum frei, feministische Konzerte und Ukulelesongs. Wie von selbst verhakten sich unsere Beine ineinander und ich merkte, wie ich aufatmen konnte unter diesen Augen, die so offensichtlich alles über mich wissen wollten. Er sexualisierte mich nicht, aber mich überkam dieser Wunsch, flirten zu wollen, provozieren zu wollen und ja, auch von ihm sexualisiert werden zu wollen. Und wie ich dort saß und mir unwillkürlich die Lippen leckte, merkte ich, wie sehr ich diese Seite an mir unendlich vermisst hatte als selbstbewusste Frau dazustehen, die offen zu dem steht, wer sie ist und was sie will. Mit Beginn der Dämmerung küssten wir uns das erste Mal. Als die Sonne aufging, kniete ich nackt vor ihm und hätte alles getan, worum er mich in dem Moment gebeten hätte. Doch immer wieder sagte er nur: ’schau mich an‘, bei allem, was wir taten. Und ich wollte, dass er jedes Detail an und von mir sieht.
Auch wenn es so scheint, das hier ist kein Märchen mit Happy End und Prinz oder eine inspirierende Geschichte persönlicher Weiterentwicklung. Das ist meine anhaltende Realität. Denn jedes Mal, wenn ich mit gierigen Händen wieder über seinen Körper wandere, spüre ich, dass jedes einzelne meiner Gefühle noch Bestand hat. Ich spüre, wie die Erwartungsfreiheit mich jedes Mal wieder zu ihm hinzieht. Und jedes Mal, wenn ich Sexismus begegne und diese unausgesprochenen Gesetzmäßigkeiten unserer Kultur sich mir aufdrängen, erfüllt es mich wieder mit Schwere, mit Ekel, mit Wut, mit einem riesigen Stopp. Dann spielen wir nur Brettspiele und kuscheln. Meine Sexismus-sensiblen Bremsen kann ich inzwischen besser bedienen. Ich schaue mir keine Dokus über Epstein, Weinstein, oder einen anderen -stein mehr an, wenn ich in den Tagen darauf ein Date habe. Auch führe ich keine Gespräche über Sexismus mehr, wenn sie mir zu nahe gehen. Aber ich wünschte, andere Menschen würden diese Gespräche führen und sich aufklären, statt es von Betroffenen zu erwarten. Denn ich fühle mich so ausgebrannt von diesem Narrativ, mit Sexismus ’nur‘ gut umgehen lernen zu müssen. Niemand ist für meine Gefühle verantwortlich, aber für den Raum und die Gesellschaft, die wir schaffen. Ich wünschte, ich müsste nicht aus dieser Betroffenheitsperspektive heraus schreiben, damit ihr mich ernst nehmt. Ich wünschte, ich müsste diesen Text nicht mit Sex eröffnen, um Reden über Sexismus attraktiver zu gestalten. Ich wünschte, ihr würdet euch als Teil dieser Geschichte sehen und es unangenehm finden.
Denn ich brauche wirklich kein Mitgefühl mehr, sondern aufrichtiges Verständnis und aktives Handeln.
Das letzte Jahr hat meine Perspektive auf Sexualität verändert. Vielleicht habe ich nun diesen ewigen ‚Defekt‘, nur noch mit queerfeministischen Menschen wirklich intim und nah sein zu können. Mit diesem neuen Alleinstellungsmerkmal meiner Sexualität bin ich aber eigentlich ganz zufrieden. Mein Körper unterstützt mich dabei, meinem Wertesystem gerecht zu werden. Was könnte es für eine bessere neurologische Qualität geben? Wie könnte ich mich und mein Umfeld besser wachsen lassen, als meinen Stopp-Impulsen ganz genau zuzuhören?
Schließlich will ich mit Menschen befreundet sein, die das Konzept von Sexpositivität verstehen, Gleichberechtigung nicht als optional sehen und meine Erfahrungen für sich als wertvoll annehmen. Ich will Menschen daten, die auf Pussy-Riot-Konzerte gehen, Margarete Stockowski lesen und J.K. Rowling kritisieren. Ich will mit Menschen spielen, die offen für alle Konstellationen sind, aber nicht ohne mich die Rollen festlegen. Ich will Menschen ficken, die Neins kommentarlos akzeptieren, keine Angst vor meiner Periode haben und Kommen nicht als Höhepunkt von Sex sehen. Und danach will ich mit Menschen kuscheln, die das post-orgasmische High nutzen, um zu fragen, wer ich bin.
Ich benutze Sex und Sexualiät in diesem Text als quasi Synonym. Möchte aber deutlich machen Sex kann, aber muss keine Penetration involvieren.
Foto: Annie Spratt (Unsplash)