Ypsilon – einfaches Neutrum
Ypsilon – einfaches Neutrum

Ypsilon – einfaches Neutrum

Ypsilon – einfaches Neutrum

Ich gehe mit meinem Hund Benjamin spazieren und treffe eine Gruppe Schülys. Sie sind laut, lachen viel und erleben einen unbeschwerten Moment. Ein Mädchen mit blauer Jeans und weißem T-Shirt kommt auf mich zu und sagt: „Der ist aber niedlich.“ und zeigt dabei auf meinen kleinen Hund. Die Schülys versammeln sich um uns und fragen, ob sie meinen Hund streichen dürfen. Ich bejahe.

Ein Junge mit kurzem blonden Haarschopf, pinken Fingernägeln und rosa T-Shirt kniet sich neben Benjamin und tätschelt herzlich seinen Kopf. Nach einer Weile sage ich den Schülys, dass mein Hund jetzt genug hat. Die Gruppe bedankt sich bei mir und gehen weiter. 

Wir schlendern an einem See entlang, treffen verschiedene Menschen mit verschiedenen Hunden, einige bellen uns an, andere ignorieren uns. Und wir begegnen einer Reiterin mit ihrem Pferd. Sie hat rotes, langes Haar und trägt einen grünen Reiterhelm.

Sie steigt von ihrem cremefarbenen Hengst runter und begrüßt mich herzlich. Ich freue mich über ihre erfrischende Art und wir fangen an über Pferde zu reden. Sie erzählt, dass ihre Stute zu Hause ein kaputten Huf hat und sie daher leider momentan nur mit ihrem Hengst unterwegs sein kann. Ich wünsche ihrer Stute eine gute Besserung und gehe weiter. 

Ich gehe an einer Gruppe Erziehys vorbei und erhasche ein paar Gesprächsfetzen: „Jemensch ist letztens bei uns eingebrochen. Das hat mir Angst gemacht.“ – „Oh, wie gruselig. Das tut mir leid, dass du so eine Erfahrung machen musstest. Mensch ist nirgends mehr sicher.“ Der Mann legt besorgt eine Hand auf die Schulter der Kollegin. Die anderen Erziehys scheinen nichts von dem Gespräch mitzubekommen.

Auf dem Rückweg kommen Benjamin und ich an einem großen Plakat vorbei. „Liebe Eltern, passt auf eure Kinder auf!“ Steht darauf in großer Schrift. Es ist eine Familie abgebildet: Zwei Väter, die ihre Kinder im Arm halten und besorgt gucken.

Als ich mit Benjamin in unsere Straße abbiege, bemerke ich zwei Polizistinnen. Anscheinend haben sie gerade Pause und reden darüber, dass eine von ihnen eine Katze adoptiert hat. 

Als ich den Schlüssel ins Schloss stecke, begrüßt mich der Postbote. Er lächelt mich an und gibt mir meine Briefe. Ich wünsche ihm noch einen schönen Tag und gehe mit Benjamin rein. Wir gehen zum Fahrstuhl und sehen die Gebäudereiniger. Sie unterhalten sich über das Fußballspiel, welches anscheinend gestern Abend im Fernsehen lief.

Im Fahrstuhl denke ich an gestern. Ich traf ein Team von Landschaftgärtnys. Eine Ausbilderin erklärte einem Lehrling, was an der Pflanze „Weißdorn“ giftig ist, während die anderen Gärtnys Unkraut jäten. 


Zugegeben, die Geschichte ist flach und auch gehaltlos, denn eigentlich geht es hier nicht um den Sinn dieser Geschichte. Einige Lesys fragen sich wahrscheinlich, was das soll, während andere bereits durchschaut haben, worauf ich hinaus möchte.

Auch wenn die Schreibweise etwas gewöhnungsbedürftig ist, so hoffe ich auf besonders viele Lesys zu treffen, die offen fürs Gendern und Entgendern sind. 

Was hat es mit dem Entgendern auf sich? 

Durch die Plattform TikTok wurde ich auf das „Entgendern nach Phettberg“ aufmerksam. Ich kannte diese Form der genderneutralen Sprache nicht und war sofort ganz angetan und neugierig. Klar, erst einmal hört dich diese Y-Variante etwas niedlich an, sodass mensch schnell darüber streiten kann, wie mensch denn diese Art der Sprache verwenden soll, wenn es um sehr wichtige und ernste Angelegenheiten geht. Mit dem Entgendern habe ich jedenfalls die Möglichkeit, Neutralität im Kopf des Lesys zu schaffen. Aber fangen wir doch erst mal vorne an.

Wer ist Phettberg und seit wann gibt es die entgenderte Sprachvariante? 

Hermes Phettberg ist ein schwuler, österreichischer Schauspieler; kinky Aktionskünstler; Schriftsteller; Autor bei FALTER.at und Talkshow-Moderator. Bekannt wurde er unter anderem 1993 durch sadomasochistische Kunstaktionen. Er ist Mitbegründer des Vereins Sadomasochismusinitiative Wien und des Projektes Polymorph Perverse Klinik Wien. 

Seit wann genau es die genderneutrale Sprachvariante gibt, habe ich leider nicht herausfinden können. Es gibt aber Berichte aus 2018, die von „Entgendern nach Phettberg“ sprechen.

Warum Entgendern? Wir haben doch das Gendersternchen!

Das Gendersternchen hat den Nachteil, dass es im Internet oftmals falsch formatiert wird. Daher verwenden immer häufiger Menschen den Gender-Doppelpunkt; er ist die jüngste Form der gendergerechten Schreibweise und ist lesefreundlicher als Sternchen oder Unterstrich. Zudem ist er inklusiver, da er von Sprachausgabeprogrammen für Blinde oder Menschen mit Sehbehinderung am Besten wiedergegeben werden kann, indem für den Doppelpunkt eine kurze Sprechpause eingefügt wird.

Das Gendersternchen war und ist nur als vorübergehende Variante gedacht gewesen.

Luise F. Pusch

Außerdem haben wir wieder eine Reihenfolge und somit eine Art Rangliste. Rangliste? Ja, Rangliste. Hier ein Beispiel:

Schüler * in – männliche Form bildet den Grundstamm, dann kommt das Sternchen für alle Geschlechter und dann die Weibliche Form durch das hinten rangehängte „in“. Am Ende bleibt die Sprache doch irgendwie männlich dominiert; auch wenn viele das nicht einsehen mögen. Dann gab es die Überlegung statt des generischen Maskulinum einfach nur noch das generische Femininum zu verwenden. Ist ja nett, auch mal uns Frauen zu repräsentieren, aber dann bleiben alle anderen Geschlechter auf der Strecke liegen.

Anstelle des generischen Maskulinum oder des generischen Femininum, also anstelle der Sichtbarmachung des Weiblichen kann man durchs Entgendern die Unsichtbarmachung des Männlichen und somit des Geschlechts erzielen.

2019 habe ich an einem Vortrag „Gendern, ja, aber wie“ von Luise F. Pusch teilgenommen und war erstaunt. Durch sie habe ich auch gelernt, dass das Gendersternchen nur eine Übergangslösung ist, mensch aber eigentlich schlichtweg neue Wörter finden müsste. Das beste Beispiel ist die Sache mit dem Pferd.

Das Pferd – Neutrum
Die Stute – weibliche Form des Pferdes
Der Hengst – männliche Form des Pferdes
Drei eigene Wörter

Der Mensch – Neutrum (Nur mal nebenbei: Warum eigentlich „der“? Eigentlich müsste es „Das Mensch“ heißen.)
Die Frau – weibliche Form von Mensch, ein ganz eigenes Wort
Der Mann – männliche Form von Mensch
Drei eigene Wörter

Der Schüler – männliche Form
Die Schülerin – männliche Form plus „in“
Ein Wort mit einem Anhängsel „in“ für die weibliche Variante

Mit Phettbergs Y-Variante können sich also alle Menschen angesprochen fühlen und durch die Neutralität fallen automatisch entwickelte Bilder von Männern und Jungs, die durch das generischen Maskulinum provoziert werden – beim Lesen weg. Die Form ist bei kompakter Bauweise leicht auszusprechen. Nur leider ist die Y-Variante niedlich und wenn ich über ernste Themen reden möchte, möchte ich nichts verniedlichen; vielleicht gewöhnt mensch sich mit der Zeit aber auch einfach nur daran.

Warum „mensch“ statt „man“?

Das Wort „man“ komm aus dem mittelhochdeutschen und althochdeutschen und bedeutet man = irgendeiner, jeder beliebige (Mensch) und ist daher eigentlich geschlechtsneutral. Im Grunde ersetzt „man“ die lange Fassung „die Leute“ und spricht alle Menschen an.

Ich versuche das Wort „man“ nicht zu verwenden und durch „mensch“ zu ersetzen oder Sätze umzustellen, da das Wort „man“ eindeutig geschlechtliche Assoziationen hervorruft. 

Wie funktioniert das Entgendern?

Genus
Alle Personenbezeichnungen, die nach Phettberg entgendert werden, sind im Genus Neutrum (neutrum = keines von beidem), daher ist es das Schüly, das Lesy, das Polizisty etc.

Bildung grundsätzlich
Singular: Stamm + y
Plural: Stamm +ys

Bildung detailliert
Bei Wörtern, die das -er verwenden, um zu Personenbezeichnungen zu werden, ersetzt das -y das -er: Bäcker_in: das Bäcky.
Bei Wörtern, die nicht in -er enden, wird das -y angehängt: Professor_in: das Professory.
Im Plural werden Wörter, die für die Pluralbildung umgelautet werden, weiterhin umgelautet: Koch -> Köche : das Kochy -> die Köchys
Arzt -> Ärzte : das Arzty -> die Ärztys

Besonderheiten
Es gibt, soweit bislang ersichtlich, nur einen Sonderfall: Personenbezeichnungen auf -ling
Der Widerling: das Widerly / der Lehrling: das Lehrly

Meiner Meinung nach könnte man hier statt „der Widerling“ einfach „das Widerling“ sagen, statt „der Lehrling“ „das Lehrling“ Wenn es nach Phettberg geht, heißt es hier „das Lehrly“.

Pronomina
Die Verwendung von Pronomina im Fließtext erfolgt (theoretisch) wie bei jedem anderen Neutrum auch:
In seiner Arbeit stellt das Wissenschaftly vor …

„Ich empfehle allerdings im schriftlichen Gebrauch das Beistellen eines (n.), um etwaige Unklarheiten auszuräumen und eindeutig kein Geschlecht anzukategorisieren:
In seinem(n.) neuen Buch schlägt Müller vor…“

Thomas Kronschläger

Für mich funktioniert die Pronomina beim Entgendern nach Phettberg nicht. Eine Alternative habe ich nicht.

Beispiel – warum es meiner Meinung nach nicht funktioniert:
„In ihrem Buch schlägt Müller vor.“ – eindeutig weiblich
„In seinem Buch schlägt Müller vor.“ – eindeutlich männlich
„In seinem(n) Buch schlägt Müller vor.“ – Phettberg-Methode: irgendwie nicht genderneutral

Ich würde sagen, wir kommen einer genderneutralen und gendergerechten Sprache immer näher. Sprache ändert sich laufend, täglich werden neue Wörter entwickelt und alte Wörter sterben aus. Das ist vollkommen normal. Ich freue mich über jedes Gendersternchen und jeden Bericht, wo auf gendergerechte Sprache geachtet wird. Ich finde das wichtig. Aber noch wichtiger wäre mir, wenn sich Sprachwissenschaftlys endlich zusammen setzen und eine gendergerechte, deutsche, angenehm zu lesen und angenehm zu sprechende Sprache entwickeln würden. Eine gendergerechte Sprache, die an Schulen gelehrt und allgemein angewendet wird.

Kommen wir noch mal zurück auf meine Geschichte. Ich habe gezielt Entgendert und gegendert. Wollte ich, dass die Lesys beim Lesen einen Mann vor Augen haben, so habe ich die männliche Form verwendet, wollte ich kein Geschlecht assoziieren, so habe ich entgendert.


Interessante Artikel zu dem Thema:
https://www.tu-braunschweig.de/germanistik/abt/did/mitarb/kronschlaeger
https://www.jetzt.de/hauptsache-gendern/gendern-linguistin-luise-f-pusch-ueber-das-gendersternchen-und-geschlechtergerechte-sprache